Ein weiterer Anruf der Gräfin
Es war Samstagmorgen halb neun, die Wohnung von Herr Klausmann duftete nach frischen Brötchen und heißem Kaffee. Herr Klausmann saß über der Frankfurter Allgemeinen zu einem ausgiebigen Frühstück in der Küche. Wie er es mit Marie immer getan hatte. Es war der 2. Advent.
Er hatte den ersten, heißen Schluck Kaffee hinuntergeschluckt, als das Telefon im Arbeitszimmer einen Anrufer meldet. Das konnten die Kinder sein. Um ihn zu fragen ein paar Einkäufe mitzubringen. Wie jeden Samstag aß er abends bei Alexander und Johanna.
„Kanzlei Klausmann und Söhne, was kann ich für Sie tun?“
„Guten Morgen. Entschuldigen Sie die Störung. Ich wollte wissen, ob Sie jetzt… ich meine… wissen Sie… ach… jetzt muss ich überlegen…“
Herr Klausmann erkannte die Stimme der Gräfin. Er hatte nicht geglaubt, dass sie sich nach zehn Tagen wieder melden würde. Er hatte gehofft, dass sich dieser Auftrag im Sande verlaufen würde. Sollte es ihr dann ernst sein, mit der Suche nach ihrem Neffen?
„Haben Sie Frederik jetzt gefunden?“ Tuut, tuut, tuut.
Komisch, die Verbindung verbrach und er schaute verdutzt auf sein Telefon. Dass dieses Gespräch kürzer war als das erste, machte die Sache nicht einfacher.
Kurzentschlossen rief er zurück. Es war dieselbe Nummer wie beim letzten Telefonat. „Tut, tut, tut…“
Besetzt. „Das gibt’s nicht. Was ist das denn?“
Er nahm sich vor es, nach dem Kaffee und einem Brötchen, noch einmal zu probieren.
Frederik von Lammenstein zu Schwarzfeld. Der Name blieb hängen. Die etwas stockenden, aber ausdrucksvollen Worte der Gräfin ebenfalls. Bis Weihnachten hatte er nicht mehr viel Zeit.
Seinen Kaffee wollte Herr Klausmann deswegen nicht kaltwerden lassen. Die Zeitung konnte warten, aber nicht der Kaffee. Schnell aß er ein zweites Brötchen mit der leckeren Weihnachtsmarmelade, die er von Johanna bekommen hatte.
Er spürte, dass es der Gräfin ernst war. Wenn er ihr dann sagen könne, wo ihr Neffe sich befindet und er eine Adresse oder Telefonnummer hätte, dann könnte er diesen Auftrag als erledigt abhaken.
Er startete seinen Computer und hatte seine Finger im Anschlag, um den Namen in die Suchmaschine einzugeben. Alexander rüstete ihn ständig mit der neusten Technik aus. Die Routine im Internet, die hatte Max ihm gezeigt.
F-R-E-D-E-R-I-K- – V-O-N- – L-A-M-M-E-N-S-T-E-I-N – -Z-U- -S-C-H-W-A-R-Z-F-E-L-D, Enter. Mit dem Tippen tat er sich schwer. Obwohl er auf einer alten Remington von seinem Vater das Tippen auf der Schreibmaschine gelernt hatte. Auf der Tastatur seines neusten Laptops war er vorsichtig.
Die digitale Antwort war enttäuschend: Die 6 Ergebnisse zu „Frederik von Lammenstein zu Schwarzfeld“ brachten ihn nicht weiter. Ein weiterer Versuch die Gräfin über die gespeicherte Nummer zu erreichen, schlug fehl.
Kurzentschlossen rief er Alexander an. Vielleicht konnte er ihm helfen. Er wusste, dass sein Sohn oft und viel im Internet und auf diesen sozialen Medien unterwegs war. Herr Klausmann hielt nicht viel davon. Bei ‚sozial‘ dachte er eher an die Einrichtungen, die er während der Weihnachtszeit gern und reichlich unterstützte.
Max weiß Rat
„Hallo Opa! Hast du gut geschlafen?“
„Ja, meine lieber Max. Und du? Ich hatte da eine dringende Frage an deinen Papa. Ist der da?“
„Moment, ich hole ihn. Kann ich dir nicht helfen?“
„Das glaube ich nicht. Ich suche jemanden. In Amerika.“
„Hast du gegoogelt?“
„Habe ich, wie du mir gezeigt hast. Ich kam zu keinem Ergebnis.“
„Wen suchst du denn?“
„Ich suche einen gewissen Frederik von Lammenstein zu Schwarzfeld. Gib mir doch den Papa.“
„Opa, so heißt heute keiner mehr. Ich probier‘ was.“
„Wie meinst du das? Wás probierst du denn?“
„Na, Opa. Sei ehrlich. Niemand nennt sich Frederik von Lammenstein zu Schwarzfeld. Ich lasse das ‚zu Schwarz-noch-was‘weg. Das braucht kein Mensch.“
„Ach…“
„Guck, Opa, ich hab’s. Google einfach nach ‚Fred von Lammenstein‘. Da findest du ihn wahrscheinlich. Ich muss jetzt zum Tischtennis. Bis heute Abend.“
„Danke, Max. Tschüss.“
Herr Klausmann war perplex. Er setzte Max‘ Vorschlag in die Tat um und bekam auf seinem Bildschirm spektakuläre 1.190.000 Ergebnisse und das in 0,46 Sekunden.
Er konnte es kaum fassen. Ob er diesen Resultaten jetzt alle nachgehen musste? Er war Rechtsanwalt, doch nicht bei der Recherche.
Der erste Eintrag machte ihn stutzig. Fred von Lammenstein hatte ein Profil auf LinkedIn. Er wusste, dass Alexander diese Plattform nutzte für seine beruflichen Tätigkeiten. Er würde ihn später beim Essen danach fragen.
Ein weiterer Versuch, die Gräfin zu erreichen, scheiterte erneut. Er musste ehrlich sein: dass er mit Hilfe seines Enkels innerhalb von fünf Minuten den Neffen gefunden hatte, war ein Erfolgserlebnis. Um mit ihm in Kontakt zu geraten, konnte nicht schwierig werden.
Er hatte einen Tag Zeit, die Wohnung ein bisschen aufzuräumen und ein paar Kartons einzupacken. Am Montag würden fleißige Helfer seinen Umzug in die Wohnung ins Erdgeschoss vorbereiten. Herr Klausmann hatte sich vorgenommen alles einzupacken bis auf die zwei Quadratmeter auf seinem antiken Sekretär. Diese Sachen würde er erst am Umzugstag selber und höchstpersönlich aus seinem ehemaligen in sein neues Arbeitszimmer tragen. So, dass er seine Tätigkeit in den unteren Räumen nach dem Umzug ohne Verzögerung aufnehmen könne.
Heute wollte er unbedingt die beiden renovierten Kinderzimmer sauber machen. Denn vor Weihnachten sollten dort für Max und Lotte neue Möbel aufgestellt werden.
Er schaltete das Radio ein und machte sich auf den Weg über den breiten Flur.
Abendessen bei den Kindern
„Ich muss sagen, Johanna, deine Kässpätzle waren fantastisch. Der Wein auch. Das war ein Spätburgunder. Vom Merdinger Attilafelsen. Köstlich. Dann sag‘ ich mal: Vielen Dank für Speis‘ und Trank.“ Mit diesen Worten bedankte sich Herr Klausmann jeden Samstagabend für das Essen und den gemütlichen Abend bei seinen Kindern. Sie hatten ein paar Weihnachtslieder gesungen und Siedler von Catan gespielt. Max und Lotte hatten sich nach nebenan, in ihr gemeinsames Zimmer zurückgezogen. Die Wohnung war viel zu klein für die junge Familie. Es war gut, dass sie sich jetzt entschieden hatten, in die Kanzleiwohnung zu ziehen. Denn für Herrn Klausmann alleine war diese wiederum zu groß.
„Ach Alexander, darf ich dich was fragen? Kennst du einen Frederik von Lammenstein zu Schwarzfeld? Sagt dir der Name was? Heute morgen habe ich kurz mit Max telefoniert. Das war aufschlussreich. Max meinte, ich sollte nach Fred von Lammenstein googlen. Da gibt es über eine Million Ergebnisse und der erste war ein Link zu der Plattform von LinkedIn. Da bist du auch. Kannst du mal gucken?“
Johanna sah auf. Sie hatte den Tisch abgeräumt und stellte den Adventskranz in die Mitte zurück.
„Fred von Lammenstein? Den kenne ich. Der arbeitet bei der Deutschen Bank in Amsterdam. Wir waren Kollegen in Frankfurt, bevor er sich versetzen ließ. Ich habe jetzt lange nichts mehr von ihm gehört.“
„Fred? Was willst du denn von dem? Der hat hier auf dem Schloss Neuenburg gewohnt. Jetzt sag, was willst du denn von ihm?“
„Ach Alexander, ich weiß nicht, ich habe letzte Woche einen Anruf bekommen von einer gewissen Barbara von Lammenstein zu Schwarzfeld. Diese Dame ist auf der Suche nach ihrem Neffen.“
„Das klingt spannend.“ meinte Johanna. „Sobald ich Montagmorgen im Büro bin, suche ich dir als erstes seine Telefonnummer raus. Und die E-Mail-Adresse. Reicht dir das bis dahin?“
Her Klausmann konnte seinen Ohren kaum glauben.
„Ja, wunderbar. Das ist großartig. Ich hatte gar nicht geglaubt, dass es so einfach sein könnte.
Dabei… ich weiß gar nicht, wie ich die Gräfin erreichen soll. Sie hat mich schon zweimal angerufen, beim letzten Versuch war plötzlich die Verbindung weg. Ich habe es dann bei ihr probiert, aber sie nicht mehr erreichen können. Das klärt sich bestimmt, wenn ich mit dem Neffen telefoniert habe. Rufst du mich Montag an, Johanna?“
„Werd‘ ich nicht vergessen. Auf keinen Fall. Ich bin selbst gespannt, was Frederik macht.“
„Kinder, ich mache mich jetzt auf den Weg. Ich wünsche euch einen schönen Abend und einen geselligen 2. Advent!“
Er sah gar nicht mehr, dass er Alexander und Johanna verdutzt zurück ließ.