Interviewstaffel: Deutsche in Holland
Die Wiesen und Weiden sind seit einigen Tagen bedeckt mit einer weißen Schneeschicht, nicht sehr hoch, doch für holländische Verhältnisse wieder mal etwas Besonderes.
Ich, Christiane, habe eine Verabredung mit Natalie Luigs – online. Beide sitzen wir mit einer Tasse warmen Tee hinter unseren Bildschirmen. Das digitale Netzwerk überbrückt locker mal 100 km zwischen uns. Während unseres Meetings ist davon nichts zu spüren. Wir liegen, als Deutsche, total auf einer Wellenlinie. Wie wir über unsere Wahlheimat Holland denken und über Deutschland ist völlig identisch.
Ab sofort veröffentlichen wir Interviews mit Deutschen in Holland. Den Anfang macht Natalie Luigs aus Bennekom, beeidigte Übersetzerin, Texterin, Revisorin und Deutschlehrerin mit einem Faible für Marketing und Public Relations, die auch für unseren Blog regelmäßig Beiträge schreibt.
Wie bist du in die Niederlande gekommen?
Natalie: Wegen der Liebe… (lachend.) Als ich meinen ersten holländischen Freund kennengelernt habe, studierte ich Englisch und Französisch in Hamburg. Ich habe meinen Eltern mitgeteilt, dass ich Holländisch studieren wollte und deswegen nach Münster ziehen würde, denn das liegt schon mal näher an Enschede, wo mein Freund derzeit arbeitete. Sie haben mich für völlig verrückt erklärt, als ich erzählte, dass ich Französisch aufgeben wollte und stattdessen Holländisch studieren wollte. ‚Das spricht doch keiner. Was willst du denn damit später machen?‘ war ihre Reaktion. Aber: so gesagt, so getan. Wo ein Wille ist, ist für Natalie auch ein Weg.
Wie hast du Holländisch gelernt?
N: Das erste Holländisch habe ich natürlich von meinem damaligen Freund gelernt. Ich war damals in den Semesterferien immer ein paar Monate bei seinen Eltern in Holland in der Nähe von Haarlem, dann lernt man es praktisch von selber. Aber er hat mir auch immer Kassetten geschickt mit Radiosendungen, die er für mich aufgenommen hat. ‚Avondspits‘, ein Programm mit Frits Spits. Die habe ich mir dann immer angehört.
Als ich klein war, fand ich, dass Holländisch sich wie eine Halskrankheit anhörte. Und die Aussprache ist auch gewöhnungsbedürftig. Im Studium mussten wir immer vor dem Spiegel stehen und das harte „ch“ und „ui“(sprich: eui..) 100 x mal aussprechen. Auch gibt es so viele Redensweisen und Ausdrücke. Erst wenn man die gemeistert hat, hört man sich an wie ein Holländer. Zu Anfang wurde ich immer verglichen mit Prinz Klaus und Prinz Bernhard, mittlerweile ist der Akzent aber fast verschwunden und denkt man oft, dass ich einen ostniederländischen Akzent habe. Kehrseite der ganzen Sache ist: Meine Freunde und Geschwister in Deutschland finden immer, dass ich, wenn ich Deutsch spreche, einen Windmühlen- und Klumpen-Akzent habe. Das stimmt bestimmt auch. Niederländisch ist nach 30 Jahren wohl meine 2. Muttersprache geworden. Wie man das merkt? Die Sprache, in der du träumst, ist deine Muttersprache.
Und ich träume auf Niederländisch!
Zu Anfang haben die Freunde meines Freundes unwahrscheinlich viel Spaß daran gehabt, mir völlig unverschämte Sätze beizubringen. Die musste ich dann im Restaurant und in aller Öffentlichkeit wiederholen. Das war öfters ganz schön peinlich, denn ich hatte gar keine Ahnung, was es bedeutete!
Aber dann war da auch dein Studium, in dem du holländisch gelernt hast?
N: Absolut. Das Studium in Münster war schön, wir waren 50 Studenten (bei Englisch 5000!!) und bekamen Unterricht in einem Einfamilienhaus. Dort habe ich die Grundlagen der Grammatik, Literatur (ab und zu ganz schön alte Schinken!) und Landeskunde gelernt. Wir haben auch viele tolle Exkursionen nach Holland gemacht, um Land & Leute kennenzulernen.
Ich hatte den enormen Vorteil, Holländisch in Holland und von Holländern lernen zu dürfen. Dann kann man schon ziemlich schnell flüssig mitreden. Man muss sich nur trauen, aber das war für mich nie ein Problem. Ich kannte aber auch Deutsche, die bereits seit Jahren in Holland wohnten und trotzdem immer Englisch sprachen, weil sie sich nicht trauten, Holländisch zu reden und Angst hatten, Fehler zu machen. Dann lernt man die Sprache nicht und bleibt immer ein Ausländer.
Wo hast du bis jetzt überall gelebt?
N: Anfangs habe ich nach meinem Studium mit meinem ersten Freund in Enschede gewohnt. Da bekam ich auch meine erste Stelle bei Euregio, dem niederländisch-deutschen Zusammenarbeitsverband an der Grenze, als Projektleiterin. Das passte vom Job her ja wie die Faust aufs Auge!
Dort habe ich meinen ehemaligen Ehemann kennengelernt, der kurz danach einen Job in Den Haag bekam. Ich suchte mir auch einen Job im Westen und zog kurz danach auch nach Den Haag um, was natürlich fantastisch war. Eine schöne Stadt und so nah am Strand, das liebten alle meine Freunde aus Deutschland und ich habe dort immer viel Urlaubsbesuch bekommen. Wir wohnten zuerst in einer Wohnung im dritten Stock und mussten jeden Tag unser Fahrrad über die steilen und schmalen Treppen mit in unsere Wohnung schleppen. Und morgens wieder mit nach unten.
Als ich schwanger war, sind wir umgezogen nach Voorschoten in unser erstes eigenes kleines Reihenhäuschen, wie sie in Holland in den 60-er Jahren für Starter auf dem Wohnungsmarkt gebaut wurden. Als Deutscher kann man sich das gar nicht vorstellen: wir konnten uns ohne Eigenkapital ein eigenes Haus leisten für noch keine 90.000 Gulden, zu 100% finanziert mit einer Hypothek. Damals noch mit einem Zinssatz von 10%!
Erst arbeitete ich bei Agfa-Gevaert, eine deutsch-belgische Firma (die von den Filmrollen!) Dort konnte ich meine hervorragenden Deutschkenntnisse gut einsetzen. Später habe ich noch im Marketing gearbeitet bei NEN in Delft und anschließend 17 Jahre beim königlich niederländischen Automobilclub ANWB (der niederländische ADAC). Dort war ich Leiterin der Übersetzungsabteilung. Und ich arbeite schon seit mehr als 30 Jahren als freiberufliche Übersetzerin und Texterin. Einfach nur, weil’s Spaß macht!
Du bist aber weggezogen von der Küste?
N: Ja, denn die Veluwe hat mit mir geliebäugelt. Ich habe ein Pferd und mir nichts lieber gewünscht, als dort täglich lange Ausritte machen zu können. Ich durfte vom ANWB auch auf Entfernung zuhause arbeiten und bin dann in Bennekom (bei Ede an der Autobahn A12) gelandet. In einem kleinen Waldhäuschen ganz im Grünen. Eine wunderschöne Umgebung. Hier fühle ich mich so wohl, dass ich vorläufig gar nicht mehr weg möchte.
Was ist deiner Meinung nach der schönste Ort der Niederlande?
N: Das musst du mich aber nicht fragen, ich finde fast alles schön hier. Ich liebe die alten Städte Leiden, Delft und Gouda und auch Den Haag, wo ich 25 Jahre gewohnt habe, ist eine schöne grüne Stadt mit Strand, den ich über alles liebe. Eigentlich ist die ganze holländische Küste von Zeeland bis zu den Nordseeinseln traumhaft. Ich liebe auch die alten Hansestädte wie Deventer, Zutphen, Harderwijk und Doesburg. Und sogar Amsterdam (obwohl ich dort nie wohnen könnte), weil es so richtig holländisch und so unglaublich lebendig ist. Die Veluwe ist dann wieder ganz anders, ruhiger, viel Wald und Heidegebiete und eine tolle Flora und Fauna und natürlich viele Flüsse mit ihrem ganz eigenen Charme. Und man ist ein einer halben Stunde in Deutschland zum Einkaufen.
Mein Hobby ist das Wanderreiten und auch dafür ist die Veluwe ideal. Ich habe bereits mehrere Wanderritte gemacht, der längste war 300 km in zehn Tagen. Ein unvergessliches Abenteuer, nur ich und mein Pferd. Mein großer Wunsch wäre, solche Wanderritte zu für Pferdeliebhaber zu organisieren. Wer weiß, vielleicht mach ich das irgendwann noch…
Was gefällt dir an den Niederlanden?
N: Das Beste ist ja, dass Niederländer weniger formell sind als Deutsche. Hier duzen sich alle, was es viel unkomplizierter macht. Das passt sehr gut zu mir und wer ich bin. Niederländer sind viel freier, das ist einfach sehr erholsam. Nix mit Herr Professor oder Frau Doktor. Niederländer sind auch viel offener. Die sagen einfach, wenn ihnen was nicht passt, frei raus, ohne Hemmungen. Herrlich!
Auf der anderen Seite habe ich, gerade am Anfang, hier wirklich auch etwas von einem leichten Deutschlandhass miterlebt. Als ich noch ein Auto mit deutschem Kennzeichen hatte, wurde mir – während der Fußballspiele Holland-Deutschland – mehrmals ein Stein durch die Scheibe geschmissen oder die Reifen aufgeschlitzt. Die Holländer machen auch gerne Witze über Deutsche oder Deutschland. Oft beziehen sie sich noch auf den 2. Weltkrieg. Es war mir, als ich noch in Deutschland wohnte, gar nicht so bewusst, dass es in Holland noch Menschen gab, die noch so oft an den 2. Weltkrieg dachten. An die Witze gewöhnt man sich aber und heutzutage ist das Verhältnis viel entspannter.
Ich denke immer, der kleine Kalimero Holland ist auch ein ganz klein bisschen eifersüchtig auf den wirtschaftlich erfolgreichen großen Nachbarn im Osten. Natürlich machen die Deutschen auch Witze über Holländer und vor allem über die Wohnwagen mit gelben Kennzeichen auf der deutschen Autobahn zur Ferienzeit, aber das sind eher liebevolle Schmunzelwitze. Für die Deutschen sind die Niederlande einfach nur eines der zahlreichen Nachbarländer und als Nachbarstaat gar nicht so interessant. Die kleine Schwester im Westen…
Gibt es etwas, was du hier vermisst?
N: Aaaah, da läuft mir sofort das Wasser im Mund zusammen… das ist das Essen und die gute deutsche Küche. Immer wenn ich in Deutschland bin, muss ich unbedingt dieses dunkele Schwarzbrot kaufen. Und Spätzle und Eintöpfe. Zu Weihnachten kaufe ich mir Gewürze für Lebkuchen. Und deutschen Aufschnitt, insbesondere Mortadella und das sogar kiloweise! Und Hanuta-Waffeln nehme ich mir immer mit. Alles Jugenderinnerungen, nicht unbedingt gesund, aber unglaublich lecker. Jeder Ausflug zum deutschen Supermarkt ist für mich wie Weihnachten!
Möchtest du nochmal zurück nach Deutschland?
N: Hahaha… kann ich mir im Augenblick gar nicht vorstellen. Wenn ich noch einmal umziehen würde, dann eher in ein sonniges und warmes Land wie Spanien oder Italien oder nach Süddeutschland, Österreich oder in die Schweiz, wegen der Berge und dem Skifahren und weil dort Deutsch gesprochen wird. Aber zurzeit habe ich keine konkreten Pläne, vorläufig bleibe ich hier. Holland passt gut zu mir!